Als im Sommer 2023 massenweise Menschen in rosa Outfits die Kinosäle weltweit stürmten, um einen Film über eine gewisse Plastikpuppe anzusehen, bedeutete das einerseits eine Wiederbelebung der durch die Coronazeit angeschlagenen Kinos: Die Verkaufszahlen für Barbie erreichten schwindelnde Höhen (weltweit spielte der Film bisher rund 1,3 Milliarden Euro ein), andererseits war auch die Botschaft des Streifens an sich bedeutend, der die Allgemeinheit so von sich begeistern konnte und sie vor die Leinwand holte. Für manche kam es vielleicht überraschend, dass gerade Barbie so viel einspielte – schließlich handelte es sich dabei auf den ersten Blick um einen Film von Frauen für Frauen. Die Kaufkraft junger Frauen und ihre Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung wurde jahrelang unterschätzt, und so zeigen Studien, dass viele Kinofilme männliche Protagonisten aufweisen und weibliche Hauptfiguren eher Mangelware sind – Filme mit male lead sollten trotzdem alle Geschlechter ansprechen und wurden deshalb lange gepusht. Der Erfolg von Barbie zeigt nun allerdings, dass diese Ansicht eindeutig in die Jahre gekommen ist: Der Film erreichte mehr Zuschauer:innen als der gleichzeitig rausgebrachte Oppenheimer und ist der erfolgreichste Film des Jahres 2023. Doch warum ist gerade Barbie so durch die Decke gegangen? Lag es an dem Bekanntheitsgrad der stark verehrten (und verhassten) Puppe, die alle noch aus ihrer Kindheit kennen? Wohl kaum.
Es lag vor allem an der Wahl des Themas, zu dem jede weiblich gelesene Person auf dieser Welt wohl eine traurige, persönliche Geschichte beitragen kann: Sexismus. Dieses Thema mag manchen „durchgekaut“ erscheinen; sie finden, es wurde zu oft angesprochen von einer „links-grünen Bubble“ und sei schlichtweg einfach nur nervig. Doch die Resonanz des Barbie-Films zeigt, dass dieses Thema vor allem eins ist: ein Riesenproblem. Denn es ist überall. Und deshalb gehen so viele Menschen in die Kinos, um sich genau diesen Film anzusehen: Sie fühlen sich verstanden. Sie fühlen mit Margot Robbie als „stereotypical Barbie“ mit, als diese zum ersten Mal in die „echte Welt“ kommt und Erfahrungen mit sexueller Belästigung machen muss. Sie hat diesen geschockten Gesichtsausdruck, den alle Frauen haben, wenn sie zum ersten Mal merken: Diese Welt behandelt mich anders. Der Film überzeugt als feministisches Meisterwerk, obwohl es um eine Puppe geht, die eine sehr schwierige Vergangenheit mit dem Feminismus aufweist. Doch es funktioniert. Dank Erfolgsregisseurin Greta Gerwig. Denn sie schafft es, dass Barbie nicht nur Frauen anspricht und sie da abholt, wo die unrealistischen Schönheitsideale der Barbiepuppe Schäden hinterlassen haben. Barbie trifft auch geschlechtervereinend auf und ist eine Einladung an alle, die herrschenden gender roles und Rollenklischees zu hinterfragen. Egal, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt – Barbie findet bei allen Widerhall, oder wie Greta Gerwig es ausdrückt: „Barbie is a film about being human“.
Das erkennt man daran, dass auch die Rolle der Kens sehr ausführlich in Augenschein genommen wirkt. Ryan Gosling als der Ken, der in Margot Robbie alias „stereotypical Barbie“ verliebt ist, verkörpert den gesellschaftlichen Druck heterosexuellen Männern gegenüber, eine Frau erobern zu müssen und dabei keine Zurückweisung zu erleben – ein unmögliches Unterfangen, da Scheitern zum Liebesleben dazugehört. Das „Nein“, das Ken dann erhält, nachdem er Barbie offen seine Gefühle gestanden hat, stürzt ihn zwar in große Trauer und bringt ihn zum Weinen, zeigt aber gleichzeitig, wie unheimlich menschlich es ist, Liebeskummer zu haben und wie befreiend es sein kann, seine Emotionen wirklich zu fühlen und sie nicht beiseite zu schieben. Männern, die den Satz „boys don’t cry“ verinnerlicht haben, könnte der Film an dieser Stelle helfen.
Barbie ist folglich nicht „nur“ ein Film für Frauen (auch wenn das völlig ausreichen würde, schließlich gibt es, wie bereits erwähnt, einen unheimlichen Mangel an Kinofilmen die sich primär „nur“ an Frauen richten“), sondern ein Film für alle. Er behandelt viele Themen, die Frauen und weiblich gelesene Personen tagtäglich erleben: sexuelle Belästigung, Reduzierung auf das eigene Aussehen, das ständige Nicht-ernstgenommen-Werden, und spricht gleichzeitig alle an, die davon eher selten betroffen sind, aber mit anderen Dingen in unserer Welt zu kämpfen haben, wie der Unterdrückung der eigenen Gefühle oder dem Mantra, immer „stark sein“ zu müssen. Männer kriegen außerdem durch die Brille von Ryan Gosling als Ken gezeigt, wie das Leben in einem Matriarchat aussehen würde: Die Kens sind im Barbieland höchstens Dekoration, ihre Handlungsbereiche sind stark eingeschränkt und ihr ganzes Tun ist stets darauf ausgerichtet, den Barbies zu gefallen. Man erfährt als zuschauender Mann durch das Schicksal von Ken, wie sich eine weiblich gelesene Person in unser heutigen (immer noch) patriarchalisch geprägten Gesellschaft fühlen muss: klein gehalten, ausgenutzt und übersehen. Ken ist frustriert über seine Rolle und etabliert nach einer Reise in die „richtige Welt“ im Barbieland – welches ab dann in „Kendom“ umbenannt wird – ein Patriarchat, unter dem nun nicht mehr die Kens, sondern die Barbies leiden. Greta Gerwigs Glanzstück verdeutlicht damit, dass Unterdrückung jeglicher Personen immer gleich schlimm ist, egal welches Geschlecht diese haben. Barbie kann durch die Vertauschung der Rollen Männer für die Situation von Frauen heute sensibilisieren und zeigt gleichzeitig auf, dass ein falsch ausgelegter Feminismus nicht dazu führen darf, dass auf einmal Männer kleingehalten werden und nur Frauen Machtpositionen besitzen. Das Ziel sollte, wie allgemein (hoffentlich) bekannt, die Gleichberechtigung aller sein.
Es schmerzt dann natürlich sehr, als gegen Ende des Films die Barbies wieder die Überhand gewinnen und den Kens lediglich zugestehen, nach und nach mehr Sitze im obersten Gericht zu erlangen. Barbieland ist damit weit von einer gerechten Gesellschaftsordnung entfernt und die Kens müssen weiterhin für ihre Rechte einstehen, doch gleichzeitig ist dieses Ende wohl das realistischste: Wie die Frauen in unserer Welt sind die Kens nun zwar etwas ranggleicher mit den Barbies, müssen aber vermutlich weiterhin über einen längeren Zeitraum dafür kämpfen, komplett gleich behandelt zu werden.
Das Umdrehen der sozialen Verhältnisse im Barbieland im Vergleich zur Realität zeigt deutlich: Männer leiden im Matriarchat der Barbies, genau wie es Frauen im Patriarchat unserer Welt tun. Seit Jahrhunderten. Also sollten wir aufhören, ihre Probleme als nichtig abzutun, sondern anfangen, ihnen zuzuhören, wenn sie darüber sprechen.
Quellen:
https://www1.wdr.de/kultur/kulturnachrichten/barbie-erfolgreichster-film-jahres-
100.html#:~:text=%22Barbie%22%20ist%20der%20erfolgreichste%20Film,1%2C3%20Milliard
en%20Euro%20eingespielt (Artikel vom 04.09.2023).
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/manner-dominieren-frauen-kommen-vor-
3849298.html (Artikel vom 12.08.2017).
https://youtu.be/QbPMA7lRsEY?si=YQtsb2MJYRKxXlEm (The Take: The Realm Meaning of Barbie (And That Surprise Ending) | Feminism Series). https://letterboxd.com/film/barbie/