04. April 2023: Finnland tritt der NATO bei. Eine Schlagzeile, die die Öffentlichkeit und das Welttheater in Brand setzte. Anlass war die russische Invasion in die Ukraine und die damit verbundenen grausamen Bilder, die seit dem 24. Februar 2022 die Greenscreens der Nachrichtensender und unsere Smartphones zieren. Eine Hiobsbotschaft folgte der Nächsten und ehe man sich versah, nahm das apokalyptische Weltuntergangsszenario eines nuklearen dritten Weltkrieges eine Hegemonialstellung im Stimmungsbild der Öffentlichkeit ein. Die Frage „Was, wenn?“ geißelte uns, schürte die Angst und offerierte den Brennstoff jeder Debatte. Dies geschah in solchem Ausmaß, dass selbst das neutrale Finnland dem Ressentiment bezüglich militärischer Bündnisse den Rücken kehrte. Aber was ist das eigentlich für ein Land, für das ein potenzieller NATO-Beitritt surreal war?
Finnland und Russland
1.340 Kilometer. Vom Barentssee im Norden bis zum Finnischen Meerbusen im Süden erstreckt sich die Landgrenze von Finnland und Russland. Das ursprünglich neutrale Finnland hat seit dem Überfall Russlands eine Sorge, die sich 1.340 Kilometer in die Länge zieht und für eine Armee mit einer Truppenstärke von knapp 24.000 aktiven Soldaten unmöglich zu verteidigen ist. Die Finnen standen vor einem Problem, das einem Kobayashi-Maru ähnelte: Entweder mussten sie ihre Neutralität aufgeben, der NATO beitreten und damit die Beziehung zu Russland irreparabel schädigen oder ihre Neutralität bewahren und einer möglichen Invasion von Russland ins Auge blicken.
Letzteres schien auf größeren Unmut bei den Finnen zu stoßen als die erste Möglichkeit, aber egal wie sie sich entschieden hätten; aufgrund der einheitlichen westlichen Sanktionen gegen Russland hatte Finnland positive Beziehungstendenzen zu Russland bereits einbüßen müssen und damit stieg die Angst der Bevölkerung.
Die Finnen und ihre Neutralität
Die finnische Neutralität war ein zentrales Element der Außenpolitik und der Sicherheitsstrategie des Landes. Seit seiner Unabhängigkeit von Russland im Jahr 1917 hatte Finnland den Weg militärischer Neutralität eingeschlagen, was bedeutete, dass das Land sich nicht in militärische Bündnisse einbinde und keinen Angriffskrieg führe. Diese politische Neutralität diente dem Ziel, die Unabhängigkeit der Finnen und ihre Sicherheit zu gewährleisten. Diese Vorgehensweise war stets seitens der finnischen Bevölkerung begrüßt worden, was die Umfragewerte bezüglich einer potenziellen NATO-Mitgliedschaft zeigen:
Im Jahr 2014 sieht man eine Zunahme der Zustimmungen einer NATO-Mitgliedschaft aufgrund der russischen Annexion der Krim. Die Grafik legt dar, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine einen bedeutenden Effekt auf die finnische Bevölkerung hatte, da die Zustimmungswerte auf knapp 70% stiegen. Bis zur Invasion der Ukraine verharrten die Finnen in ihrer neutralen Position. Nicht irritierend, berücksichtigt man die entscheidenden Ereignisse, die die finnische Neutralität erst salonfähig machten. Zum einen war es der Winterkrieg (1939-1940) und zum anderen der Fortsetzungskrieg (1941-1944) gegen die Sowjetunion. Obwohl Finnland in diesen Konflikten gegen die sowjetische Aggression kämpfte, betonte das Land stets seine defensive Natur und den Wunsch nach Unabhängigkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterzeichnete Finnland das Pariser Friedensabkommen von 1947 und gewährleistete damit seine Unabhängigkeit, musste aber gewisse Zugeständnisse in Bezug auf sowjetische Interessen machen.
In den folgenden Jahrzenten hatte Finnland seine Neutralität beibehalten und sich auf Diplomatie, Zusammenarbeit und Konfliktvermeidung konzentriert. Das Land war bis dato kein NATO-Mitglied, obwohl es eine Partnerschaft für den Frieden mit der NATO unterhielt und eine enge Beziehung zur Europäischen Union pflegte.
Der Weg in die NATO
Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine sah die (ehem.) finnische Premierministerin Sanna Marin keine direkte Bedrohung für Finnland und damit keinen Anlass der NATO beizutreten, zumal sie im vorherigen Jahr betonte, dass es höchstunwahrscheinlich sei, dass Finnland, während ihrer Amtsperiode, der NATO beitreten würde. Allerdings würde sich die Debattenkultur rund um eine mögliche NATO-Mitgliedschaft in Finnland grundlegend ändern. Daraufhin erwiderte der Sprecher des russischen Außenministeriums, dass für Finnland, als auch Schweden, ernsthafte militärische und politische Konsequenzen drohen würden, wenn sie versuchten der NATO beizutreten. Damit würde Russlands Bestreben keine Grenzen mit der NATO zu teilen ein hoffnungsloses Unterfangen.
Am 12. Mai 2022 erfolgte dann die Deklaration vom finnischen Präsidenten Sauli Niinstö und der finnischen Premierministerin Sanna Marin unverzüglich der NATO beitreten zu wollen. Finnland hatte tiefgehende Sicherheitsbedenken für die Zeit zwischen dem Beitrittsantrag und der offiziellen Mitgliedschaft. Nachvollziehbar, nachdem Russland mit der Verlegung von Nuklearwaffen die Säbel rasseln ließ und erneut die Trumpfkarte eines potenziellen Nuklearkriegs spielte. Das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten von Amerika sicherten unterdessen Finnland ihren Schutz zu, wie auch die NATO insgesamt. Notwendig, da die Türkei den finnischen Beitritt zur NATO blockierte. Grund war für den türkischen Präsidenten Erdoğan, dass Finnland, die von der Türkei als solche klassifizierten terroristischen Organisationen nicht als solche betrachtete.
Das Problem wurde vor allem dadurch befeuert, da Finnlands Präsident Sauli Niinstö sagte, Finnland und Schweden würden Hand-in-Hand der NATO beitreten. Erdoğan äußerte ebenfalls Missfallen an Schwedens Umgang mit den von der Türkei als solche klassifizierten Terrororganisationen und den vorangegangenen Koran-Verbrennungen. Nach langen Verhandlungen und Austauschen von Delegationen ruderte die Türkei zurück und gab ihre Blockade bezüglich Finnland auf, ohne dass Finnland seine Überzeugungen änderte.
Die NATO begrüßt Finnland als neues Mitglied
Finnland wurde am 04. April 2023 ein offizielles Mitglied der NATO, exakt 74 Jahre nach ihrer Gründung. Als Begrüßung wurden gleichzeitig an den NATO-Standorten die Flagge Finnlands, in Begleitung der finnischen Nationalhymne, gehisst.
Nun ist es ein NATO-Mitglied, das eine Grenzen mit Russland teilt – ein Szenario, das Russland unter allen Umständen vermeiden wollte. Die russische Regierung drohte mit einer Truppenmobilisierung an der Grenze zu Finnland, sollte die NATO dort Truppen stationieren. Jens Stoltenberg erwiderte, dass es in Finnland keine NATO-Truppen geben würde, wenn es nicht der ausdrückliche Wunsch der finnischen Regierung sei.
1.340 Kilometer. Vom Barentssee im Norden, bis zum finnischen Meerbusen im Süden erstreckt sich die finnisch-russische Landgrenze. Jetzt ist es nicht mehr das neutrale Finnland, das stets darauf bedacht war keine provokatorische Rolle einzunehmen, das immer wieder betonte, die grauen Tasten auf der Klaviatur der Diplomatie spielen zu wollen, sondern ein Finnland, das entschlossen ist diese 1.340 Kilometer zu verteidigen.