Internationales Filmfestival Mannheim/Heidelberg 2023
Seit 1952 steht das IFFMH für die Entdeckung und Förderung junger Filmschaffenden aus der ganzen Welt. Zum 72. Mal findet das Festival in Mannheim und Heidelberg statt und gehört mit der Berlinale zu den traditionsreichsten Filmfestivals in Deutschland. Als Teil der Jungen Jury war es mir möglich über 20 Filme, die teilweise auch ihre deutsche Premiere feierten, anzuschauen. Viele davon waren Teil der Kategorie ON THE RISE und nahmen am Festivalwettbewerb teil, bei welchem insbesondere Debütfilme die Möglichkeit hatten viele Preise abzuräumen. Im Folgenden möchte ich vier Film-Highlights – darunter auch den Gewinner des „Award of the Student Jury“ – vorstellen, für die es sich definitiv lohnt ins Kino zu gehen.
Hopeless – Hwaran
Kim Chang-hoon – Südkorea 2023 – IFFMH-Kategorie: ON THE RISE
Yeon-gyoo (Xa-Bin Hong) ist ein Teenager, der seiner Heimatstadt und seinem gewalttätigen Stiefvater entfliehen möchte. Er hofft auf ein friedliches Leben mit seiner hilflosen Mutter. Die ‚hoffnungslose‘ Welt in der Yeon-gyao lebt, erschwert ihm jedoch seinen Traum von diesem Leben realisieren zu können. Als er aufgrund einer brutalen Schlägerei in der Schule, die finanzielle Hilfe von Erwachsenen benötigt, bietet ihm Chi-geon (Song Joong-ki), ein Bandenführer der Stadt, einen Gefallen an. Der einfache Gefallen führt Yeon-gyoo dazu, die skrupellose Welt von Chi-geon zu erkunden. Die beiden kommen sich immer näher, „spiegeln einander, sehen in sich gegenseitig die verratene Vergangenheit und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.“
Fünf Jahre arbeitete Kim Chang-hoon an seinem Debütfilm „Hopeless“ und schuf mit ihm einen packenden und eindrucksvollen Neo-Noir-Film, der viele Elemente des südkoreanischen Gangsterfilm-Genres in sich vereint.
All of us Strangers
Andrew Heigh – USA 2023 – IFFMH-Kategorie: CENTER PIECE
Eines Nachts hat Adam (Andrew Scott, bekannt aus u.a. Fleabag) in seinem fast leeren Hochhaus im heutigen London eine zufällige Begegnung mit seinem mysteriösen Nachbarn Harry (Paul Mescal bekannt aus u.a. Normal People). Diese bringt den Rhythmus seines Alltags durcheinander. Während sich eine Beziehung zwischen ihnen entwickelt, beschäftigen Adam viele Erinnerungen an die Vergangenheit und er fühlt sich zurück in die Vorstadt gezogen, in der er aufgewachsen ist. Als er diese besucht, scheinen in seinem früheren Hause seine Eltern (Claire Foy und Jamie Bell) immer noch wie früher zu leben. Deren Tod liegt allerdings für Adam bereits 30 Jahre zurück.
Mit All of us Strangers schuf Andrew Heigh einen der Filme des Jahres, besonders durch die herzzerreißende Liebesgeschichte und spannenden Twists.
The Sweet East
Sean Price Williams – USA 2023 – IFFMH-Kategorie: ON THE RISE
Lillian (Talia Ryder) ist auf Klassenfahrt in Washington DC. Dort angekommen, rennt sie bald von ihren Klassenkameraden davon und gerät auf ihre ganz eigene wilde und märchenhafte Reise. Der Film nimmt seine Protagonistin auf den Weg zu gegenwärtigen Vertretern verschiedener amerikanischer Subkulturen. Doch so gefährlich wie diese zum Teil sind, so kindlich unbeteiligt wirkt Lillian bei alldem. Der Film bietet zahlreiche Gastauftritte namenhafter junger Schauspieler*innen, wie beispielsweise Ayo Edibiri (bekannt aus „The Bear“) oder Jacob Elordi (bekannt aus „Euphoria“)
Mit „The Sweet East“ feiert der Regisseur sein Solo-Debüt. Sean Price Williams gilt als einer der wichtigsten Kameramänner des New Yorker Independent-Kinos. Bekannt ist er unter anderem für seine Zusammenarbeit mit Josh & Benny Safdie an „Good Time“ aus dem Jahr 2017, mit Robert Pattinson in der Hauptrolle. Sein Debütfilm stellt das mentale, soziale und politische Auseinanderbrechen der USA zur Schau und bietet einen verspielten, aber dennoch scharfsinnigen Blick in dieses Chaos. Der Film gewann auf dem Festival den Rainer Werner Fassbinder Award für das beste Drehbuch, dotiert mit 15.000€.
Gewinner Award of the Student Jury: Without Air – Elfogy a levego
Katalin Moldovai – Ungarn 2023 – IFFMH-Kategorie: ON THE RISE
In einer ungarischen Kleinstadt ist Ana Bauch (Ágnes Krasznahorkai) eine beliebte Literaturlehrerin, die sich hin und wieder nicht an den offiziellen Lehrplan hält, sondern kreative Methoden anwendet, um ihre Schüler zu unterrichten. Bei der Behandlung des französischen Dichter Rimbaud empfiehlt sie als optionale Hausaufgabe den Film „Total Eclipse“ (1995) anzuschauen, in dem Rimbaud in einer homosexuellen Beziehung dargestellt wird. Während sie dies bereits viele Jahre lang ohne Beschwerde tat, ist es dieses Mal anders. Ein eher konservativer Vater erwischt seinen Sohn dabei, wie er sich den Film zuhause ansieht. Er legt bei der Schule wegen des für ihn ‚unmoralischen‘ Materials Beschwerde ein. Um festzustellen, ob der Film altersgerecht ist und die Empfehlung durch Ana falsch war, wird ein Gremium gebildet. Die Schulleiterin ist hierbei gleichzeitig besorgt über bevorstehenden Feierlichkeiten zum 150-jährigen Jubiläum der Schule und versucht, den Fall mit einer vorübergehenden Ermahnung unter den Teppich zu kehren. Ana sind ihre Prinzipien wichtiger und stellt sich gegen das Gremium der Schule. Dieser Schritt sorgt dafür, dass sich aus einer elterlichen Beschwerde ein größerer politischer Skandal entwickelt.
Mit „Without Air“ gelang es es der Regisseurin Katalin Moldovai einen sehr zeitkritischen Film zu schaffen, der auf diese Art und mit diesem Thema in bestimmten Ländern nicht nochmal produziert werden könnte. Er schafft ein Appell, in jedem gesellschaftlichen Kontext für die Freiheit der Lehre, im Kontext der Schule aber auch der Uni, einzustehen – trotz Gegenwind einer lauten Minderheit oder eigener Bequemlichkeit. Besonders dieser Aspekt trug dazu bei, dass der Film mit dem „Award of the Student-Jury“ ausgezeichnet wurde, dotiert auf 5.000€.